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Verständliche Aussprache - Was macht sie aus?

Vor kurzem ging ich zum Vortrag eines Mannes, der Deutsch nicht als Muttersprache sprach. Der Mann war Akademiker, hat in Deutschland promoviert, lebte und arbeitete mehr als zehn Jahre hier. Das Thema des Vortrags interessierte mich. Doch von Beginn an tat ich mich schwer, konzentriert zuzuhören. Ich schob es zunächst darauf, dass ich in Hektik und fast verspätet zum Vortrag gekommen war und dass der Vortragsstil (= Ablesen!) das Zuhören erschwerte.

 

Merke: Abgelesene Reden sind für das Publikum schwerer verdaulich als frei gehaltene. Wer seine Reden schreibt und abliest, formuliert meist zu kompliziert und mit zu langen Sätzen!

 

Aber dann fiel mir es mir wie Schuppen von den Augen: Der Mann sprach zwar exzellent Deutsch, was Grammatik und Wortschatz anging, war aber aufgrund seiner Aussprache schwer zu verstehen. Eine Frau neben mir verließ den Vortrag und einen Moment überlegte ich, ob ich auch gehen sollte. Ich entschloss mich, zu bleiben und die Zeit für eine phonetische Analyse zu nutzen.

 

Was also machte es so schwer, den Mann zu verstehen?

1.      Falsche Betonungen! Er

  • betonte viele Wörter falsch, z.B. ausreichend statt ausreichend, Selbstbestimmung statt Selbstbestimmung.
  • setzte im Satz häufig falsche Akzente oder zu viele, oft auf Wörter, die man nicht / nur selten betonen würde wie zwar oder während. Zur Erinnerung: Durch den Satzakzent lenkt der/die Sprechende die Aufmerksamkeit auf die Botschaft (ergo: die Wörter), die ihm/ihr wichtig ist. Wie soll das Publikum folgen, wenn kleine Konjunktionen und unwichtige Artikelwörter die wichtigste „Botschaft“ bilden?
  • setzte den Satzakzent zu hoch. Alle, die mein Praxisbuch Phonetik kennen oder schon einmal Phonetik-Unterricht bei mir mitgemacht haben, wissen, dass ich viel Wert auf Satzakzent und Rhythmus lege. Der Satzakzent wird nicht nur deutlicher und lauter gesprochen als unbetonte Silben/Wörter im Satz, sondern auch höher (oder tiefer), weshalb man ihn auch Tonhöhenakzent nennt. Bisher war mir noch nicht aufgefallen, dass man diese Regel übertreiben kann. Die betonten Wörter waren häufig sehr hoch gesprochen, d.h. der Tonhöhenunterschied war signifikant, wodurch eine für deutsche Ohren ungewohnte Melodie entstand.
  • sprach abgehackt, trennte Zusammengehörendes, setzte die Sprechpausen an ungewohnte Stellen.

2.      Lange Vokale wurden häufig kurz gesprochen. So klang Frieden wie Fritten und aus dem Lehmboden wurde ein „Lemmboden“. Mitunter wurde ein Wort auf der falschen Silbe betont und der Vokal zusätzlich kurz gesprochen: Maxime („i“ kurz) statt Maxime (mit langem „i“). Aber auch umgekehrt ging es schief ;-) , denn aus verschiffen wurde „verschiefen“.

 

Die Fehler des Mannes bei der Akzentuierung und der Vokalquantität reichten aus, um die Verständlichkeit zu beeinträchtigen. Damit bestätigte sich für mich mein persönliches Credo: Die wichtigsten Themen beim Aussprachetraining sind Akzent, Rhythmus und Melodie sowie die Vokalquantität (ggf. auch Vokalqualität). Sie sind maßgeblich, um verstanden zu werden.